Immunologisches Gedächtnis
Schlüssel zur Heilung von Rheuma
Masern, Röteln, Windpocken – einige Krankheiten bekommt man nur einmal im Leben. Die meisten dieser Erkrankungen müssen wir heute nicht mehr durchmachen, ein Nadelstich mit einem Impfstoff reicht und wir sind dagegen geschützt – wir sind immun. Wie funktioniert dieser Schutz des Immunsystems, den wir als immunologisches Gedächtnis bezeichnen? Und was hat dieses Gedächtnis mit Rheuma und anderen chronisch-entzündlichen Krankheiten zu tun?
Gedächtniszellen – Immunzellen, die sich an Krankheitserreger „erinnern“
Wir sind immer und überall von Bakterien, Pilzen und Viren umgeben. Dennoch sind wir nicht ständig krank. Das verdanken wir unserem Immunsystem. Es kann sich Krankheitserreger merken und uns vor einer erneuten Infektion schützen. Hinter diesem sogenannten Immunologischen Gedächtnis steht die komplexe Kommunikation von verschiedenen „Gedächtnis-Zellen“. Diese Gedächtnis-Zellen bleiben auch nach Abklingen der Erkrankung jahrelang im Körper und speichern wie eine Datenbank alle Informationen über den abgewehrten Erreger. Bei erneuter Infektion wird der Keim sofort bekämpft. Diese effektive Abwehrreaktion bemerken wir oft nicht – wir sind immun gegen den Erreger. Das Immunologische Gedächtnis ist eine der eindrucksvollsten Eigenschaften unseres Immunsystems. Ein Leben lang wird die Datenbank erweitert. Auch der Erfolg von Impfungen beruht auf dem Immunologischen Gedächtnis.
Krankmachende Gedächtniszellen – darum wird Rheuma chronisch
Das Immunologische Gedächtnis funktioniert, weil das Immunsystem fremde Erreger von eigenem Gewebe unterscheiden kann: Körpereigene Strukturen werden normalerweise von den Zellen des Immunsystems als solche erkannt und ignoriert. Versagt dieser Erkennungsmechanismus jedoch, werden körpereigene Strukturen vom Immunsystem fälschlicherweise als Fremdkörper identifiziert. Das System gerät aus den Fugen und die „Toleranz“ gegenüber dem eigenen Gewebe bricht. Als natürliche Abwehrreaktion will der Körper den „Eindringling“ mit einer Entzündung beseitigen und beginnt einen langwierigen Kampf gegen sich selbst. Schwerwiegende Krankheiten wie die Rheumatoide Arthritis, der Systemische Lupus Erythematodes, Schuppenflechte oder Multiple Sklerose können die Folge sein.
Hat der Körper den Kampf gegen das eigene Gewebe, wie Gelenkknorpel oder Nervenzellen, einmal begonnen, beginnen auch die Gedächtniszellen zu arbeiten – genau wie bei einer Infektion. Der „Fremdkörper“, der die Entzündung auslöst, lässt sich aber nicht beseitigen. Das aktiviert die Gedächtniszellen immer wieder. Die Datenbank des Immunologischen Gedächtnisses wird erweitert – mit Gedächtniszellen, die krank machen. Sie treiben die Entzündung wie ein Motor an – die Krankheit wird chronisch. Betroffene müssen ein Leben lang Medikamente nehmen, die diese Immunreaktion zwar hemmen, aber auch unerwünschte Nebenwirkungen haben.
Rheuma heilen – so ebnet das DRFZ den Weg
Eine klinische Beobachtung hat die Forschungsstrategie des DRFZ entscheidend beeinflusst: Vernichtet man das Immunsystem mit einer Chemotherapie und baut es dann aus körpereigenen Stammzellen wieder auf, verschwindet die rheumatische Entzündung dauerhaft. Die Betroffenen sind geheilt. Die Behandlung, „Immunreset“ genannt, ist aber sehr riskant und wird nur in seltenen Ausnahmefällen durchgeführt. Die PatientInnen haben lange Zeit nach der Behandlung keinerlei Schutz gegen jedwede Erreger. Offenbar verschwinden nicht nur die krankmachenden Gedächtniszellen, sondern die gesamte Datenbank des Immunologischen Gedächtnisses wird gelöscht. Der Immunreset ist der Beweis, dass die Gedächtniszellen des Immunsystems eine entscheidende Rolle bei chronisch-entzündlichen Autoimmunerkrankungen spielen.
Am DRFZ werden Wege gesucht, möglichst selektiv nur die krankmachenden Gedächtniszellen zu beseitigen, um Entzündungskrankheiten dauerhaft zu heilen. Nur das Gedächtnis für die Erkrankung soll gelöscht werden, während das schützende Immunsystem erhalten bleibt. Voraussetzung für dieses ambitionierte Vorhaben ist es, die Biologie der verschiedenen Typen der Gedächtniszellen und ihre Rolle bei den chronisch-entzündlichen Erkrankungen genau zu kennen:
- Welche Rolle spielen die krankmachenden Zellen für den Krankheitsverlauf?
- Wie unterscheiden sich die krankmachenden von den schützenden Gedächtniszellen?
- Welche Faktoren sind für das Überleben und die Kommunikation der Zellen untereinander wichtig?
- Welche dieser Faktoren könnten sich eignen, um therapeutisch einzugreifen?
Das immer bessere Verstehen der Lebensweise der krankmachenden Zellen hat in den letzten Jahren bereits dazu geführt, dass neue therapeutische Zielstrukturen in und auf den Zellen gefunden wurden. Dies können Moleküle auf der Oberfläche der Zellen sein, Nährstoffe, die die Zellen zum Überleben brauchen oder Botenstoffe, die die Zellen zur Kommunikation benötigen. Letztlich geht es darum, das Überleben der krankmachenden Zellen zu verhindern.
Krankmachende Gedächtnis-Plasmazellen gezielt vernichten – eine neue Methode
Ein Zelltyp, der bei vielen Autoimmunerkrankungen eine entscheidende Rolle spielt, haben Forschende des DRFZ vor 25 Jahren entdeckt: die langlebige krankmachende Gedächtnis-Plasmazelle. Gut geschützt überdauern sie jahrzehntelang in sogenannten „Überlebensnischen“ im Knochenmark und anderen Geweben. Hier werden sie von Bindegewebszellen am Leben erhalten und geben laufend sogenannte Auto-Antikörper gegen körpereigenes Gewebe ins Blut ab. Diese treiben Entzündungen und damit die Erkrankung voran. Heutige Therapien können zwar die Symptome lindern, den eigentlichen Übeltäter – die krankmachende Gedächtnis-Plasmazelle in ihrer Nische – erreichen sie jedoch nicht. Das erklärt, warum die Erkrankung nach Absetzen von Medikamenten sofort wieder aufflammt.
Die Forschenden des DRFZ haben nun gemeinsam mit KollegInnen der Charité eine Technologie entwickelt, die Plasmazellen aufspürt und vernichtet – und zwar nur die, die ganz bestimmte Antikörper produzieren. Gelingt es, nur die krankmachenden Gedächtnis-Plasmazellen auszuschalten, ohne die schützenden zu beeinträchtigen, könnte dies die Behandlung von chronischen Autoimmunerkrankungen revolutionieren. Diese Technologie wurde bereits patentiert und erfolgreich im Tiermodell getestet. Sie wird nun für den Einsatz am Menschen weiterentwickelt.
Ein weiterer Ansatz zur Auslöschung von krankmachenden Gedächtnis-Plasmazellen ist es, in ihre Kommunikation mit den Bindegewebszellen einzugreifen. Die Forschenden des DRFZ bauen dafür die „Überlebensnischen“ künstlich nach. In diesen Zellkulturen untersuchen sie, welche Stoffe die Gedächtnis-Plasmazellen zum Überleben brauchen. Sie konnten so bereits zeigen, dass der lebenswichtige Kontakt zu Bindegewebszellen offenbar in den Plasmazellen einen bestimmten Signalweg auslöst. Durch ihn werden die Zellen widerstandsfähig gegen Stress und Nahrungsmangel, und auch gegen die herkömmliche Behandlung chronischer Entzündungen. Unterbricht man diesen Signalweg, sterben die Gedächtnis-Plasmazellen ab. Dies könnte ein weiterer Weg sein, durch Auto-Antikörper verursachte chronische Krankheiten in Zukunft wirklich zu heilen.
Der Entzündung den Treibstoff entziehen: krankmachende T Zellen ausschalten
Neben den Gedächtnis-Plasmazellen stehen auch sogenannte krankmachende Gedächtnis T Helferzellen seit langem im Fokus des DRFZ. Diese Zellen kommen bei Autoimmunerkrankungen im entzündeten Gewebe vor, beispielsweise in den Gelenken von Rheumakranken. Die krankmachenden Zellen zu finden gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Obwohl sie eine entscheidende Rolle im Krankheitsgeschehen spielen, gibt es oft nur wenige von ihnen unter Millionen anderer Zellen. Zudem ist ihre Funktion auch immer abhängig vom Zusammenspiel mit ihrer Umgebung.
Das DRFZ setzt eine sehr junge Methode der Gentechnik ein, um viele Zellen gleichzeitig genau zu untersuchen: die Einzelzell-Sequenzierung. Im Gegensatz zu anderen Methoden erhält man so nicht nur Informationen über die Struktur der Zelle, sondern vor allem Hinweise über ihre Funktion. Jede Zelle des Körpers, also auch eine Immunzelle, trägt die Gesamtheit unserer Erbinformation, etwa 25.000 Gene, in sich. Nur ein Bruchteil davon ist aber aktiv, und zwar zellspezifisch. Genau diese Aktivität bestimmt, ob eine Zelle beispielsweise als rotes Blutkörperchen Sauerstoff transportiert oder eben als krankmachende Gedächtnis T Zelle eine Entzündung im Gelenk einer Rheumapatientin antreibt.
Mittels der Einzelzell-Sequenzierung haben ForscherInnen des DRFZ zusammen mit KollegInnen aus der Charité Gedächtnis T Helfer Zellen aus den Gelenken rheumakranker Kinder und Jugendlicher untersucht. Anhand der Genaktivität konnten sie die Zellen in bisher unbekannte Untergruppen einteilen. Einige davon hemmen Entzündungen, andere treiben die Entzündung weiter an. Genau diese Zellen gilt es nun auszuschalten, um den Entzündungsprozess in den Gelenken zu stoppen.
Pionierarbeit am DRFZ: Genschalter ausschalten – Entzündung verhindern
Die WissenschaftlerInnen des DRFZ setzen eine neue Strategie ein, um die Aktivität der krankmachenden Zellen ganz gezielt zu beeinflussen. Sie verwenden kleine Moleküle, die in das Innere der Zelle in den Zellkern eindringen und an bestimmte Stellen am Erbgut, an sogenannte „Genschalter“, anknüpfen. So können Gene, vereinfacht gesagt, an- oder auch abgeschaltet werden. Diese winzigen Moleküle, genannt Oligonukleotide, können die Funktion der Zelle daher spezifisch beeinflussen.
In einem Tier-Modell für entzündliche Darmerkrankungen gelang es dem DRFZ bereits, krankmachende Gedächtnis T Zellen mit dieser Methode gezielt abzutöten. Die schützenden Gedächtnis T Zellen blieben erhalten. Die Behandlung war erfolgreich: die Darmentzündung wurde deutlich schwächer. Dieses Prinzip soll nun auf andere Erkrankungen übertragen werden. Das Ziel ist die Entwicklung von therapeutischen Oligonukleotiden für den Einsatz beim Menschen, die die Maschinerie der Entzündung bei chronischen Autoimmunerkrankungen unterbrechen.
Die hier beschriebenen Projekte stellen nur einen Ausschnitt der Arbeiten des DRFZ zum Thema Immunologisches Gedächtnis dar. Weitere Schwerpunkte sind die Analysen von Gedächtnis B Zellen und Zellen des angeborenen Immunsystems. In den Profilen der Arbeitsgruppen, die zum immunologischen Gedächtnis forschen, finden Sie detailliertere Informationen.